Im normalen Schulalltag habe ich das sogenannte Twitterlehrerzimmer schätzen gelernt. Man bekommt neue Trends mit, kann Ideen sammeln und diskutieren, tauscht sich über Experimente und Material aus und hilft sich gegenseitig – technisch, didaktisch, fachlich. Auch zu Beginn der Corona-Krise und des damit verbundenen Homeschoolings fanden sich hier zahlreiche Ideensammlungen und Praxisbeispiele. Dazu wurde viel über Kontaktmöglichkeiten, Videokonferenz-Tools und auch Unterstützungsmöglichkeiten für sozial schwache Lernende diskutiert – oft sehr fundiert und brauchbar.
Doch die aktuellen Diskussionen rund um die Wiedereröffnung der Schulen und mögliche Fahrpläne hierfür finde ich es gerade sehr anstrengend. Da werden gefühlt viele Lehrkräfte plötzlich zum Experten, belegen in 280 Zeichen wahlweise warum es falsch ist, Schulen zu öffnen, warum es falsch ist, mit der Grundschule anzufangen, warum es falsch ist, die Abiturienten Abitur schreiben zu lassen, oder warum es richtig ist, endlich wieder Schulen zu öffnen. Dabei machen einige den Eindruck, sie könnten dies natürlich aus ihrer jahrelangen Erfahrung als Lehrkraft vollständig beurteilen und einschätzen und stellen dabei verallgemeinernde Behauptungen auf, die teilweise auch einfach schlicht falsch sind. Beispiel: Sommerferien schaden ja auch nicht. Dazu wird, egal wer irgendetwas mit etwas Impact sagt oder veröffentlicht, wie z.B. das Gremium der Leopoldina, direkt inhaltslos und teils persönlich angegriffen: Die haben keine Ahnung von Schule oder sind ja alles nur Professoren im Elfenbeinturm. Da wird sofort klar, dass viele die Stellungnahme nicht bis zum Ende gelesen haben oder schlicht und einfach nicht verstanden haben. Man kann von der Stellungnahme halten was man möchte, aber wenn jemand darüber versucht zu urteilen, dann sollte er das basierend auf echten Argumenten tun – hier ist gefühlt ein Teil des Twitterlehrerzimmers gerade kein gutes Vorbild. Die Leute die diese Stellungnahme erarbeitet und abgewogen haben, wissen ganz sicher, wie es in der Schule abläuft, wobei schon hier gilt: die Schule gibt es nicht. Hier finden sich sehr große Unterschiede insbesondere, was auch die sanitären Anlagen und den Umgang der Schülerschaft damit angeht (sicher auch ein gutes Lernziel für die ersten Wochen nach dem Lookdown). Gleiches gilt für den sozialen Hintergrund der Schülerschaft, die Ausstattungen und Möglichkeiten für Homeschooling, die Fallzahlen in der Region und und und. Es ist ein komplexes Problem und die Forscher und Politiker müssen hierin nicht nur die Perspektive Schule beachten, sondern noch viele andere Dinge mit einbeziehen. Und ganz ehrlich, wenn ich mir überlege, wie unsicher ich bei einigen Dingen bezogen auf meinen klar abgegrenzten, nur bedingt bedeutungsvollen Schulunterricht bin, dann wird mir schnell klar, dass hier extrem viel abgewogen werden muss und das Ergebnis trotzdem mit Unsicherheiten und Unzulänglichkeiten behaftet sein wird, wie jede noch so perfekt geplante Unterrichtsstunde auch.
Kurz: Es ist extrem komplex und das sollten wir alle anerkennen. Es gibt keine einfachen, allgemein gültigen Antworten auf die Frage der Schulöffnung, die in 280 Zeichen passen. Ich hoffe, dass wir dies auch irgendwie aus der Krise mitnehmen und unseren Schülern ebenfalls zukünftig stärker vermitteln. Die Welt ist komplex und wir müssen viele Argumente und Sichtweisen berücksichtigen und abwägen.
Übrigens geben auch einige Lehrerverbände meiner Meinung nach gerade keine gute Figur ab, die immer vehement Infos fordern, wie und wann es denn in welcher Form weitergeht mit Schule. Hey, die Zukunft ist gerade mit sehr großer Unsicherheit behaftet und wenn die Kultusminister schon einen Tag nennen, an dem Entscheidungen getroffen werden, dann sollten wir einfach so lange warten. Ich als einfache Lehrkraft bin so flexibel und spontan, auch wenn am Freitagabend die Info kommt, am Montag ist Präsenzschule, dann bin ich am Montag da und werde bei den Schülern sein – normaler Unterricht wird eh nicht laufen. Dass bspw. Schulleitungen hier etwas mehr Vorlauf brauchen, ist mir durchaus klar und deswegen wird die Entscheidung ja schon heute verkündet. Etwas mehr Demut und Gelassenheit würde hier vielleicht gut tun.